Heute, vor genau 100 Jahren …

.... erschien in der Schachspalte einer Chemnitzer Tageszeitung das folgende witzige ("most happy" - T.R.D.) Problem.

Der Springer
Wolfgang von Pittler,
Chemnitzer Wochenschach,
17.5.1925

Hilfsmatt in 2 Zügen

Für diejenigen, die im Problemschach nicht so bewandert sind, sei hier die Aufgabenstellung erläutert. Bei einem Hilfsmatt zieht der Konvention nach Schwarz zuerst und verfolgt gemeinsam mit Weiß das Ziel, den schwarzen König in eine Mattstellung zu manövrieren. Bei einem „Hilfsmatt in 2 Zügen“ suchen wir also eine den Schachregeln entsprechende Zugfolge der Form „Schwarz zieht, Weiß zieht, Schwarz zieht, Weiß setzt Matt.“

Der Autor dieses kleines Problems zog nach Beendigung seines Studiums etwa 1925/1926 von Mittweida nach Stolberg und wurde Mitglied des Aachener Schachvereins und von 1929-1933 dessen Vorsitzender. Den Stolberger Schachverein gab es 1926 noch nicht, aber an dessen Gründung 1927 war Wolfgang von Pittler beteiligt. Außerdem begann WvP damit, für die Aachener Tageszeitung "Aachener Anzeiger - Politisches Tageblatt" eine Schachspalte zu schreiben. Diese erschien vom 31.Juli 1926 an wöchentlich und bis zu seinem frühen Tod im Januar 1934 verfasste er 392 Ausgaben derselben. Eine kleine Biografie hatten wir bereits hier auf unserer Webseite eingestellt.

Die obige Stellung präsentierte Pittler seinen Lesern am 4.9.1926 im Rahmen eines Lösungswettbewerbs in Schach-Ecke Nr.6. Die Lösungsbesprechung in Schach-Ecke Nr.9 begann er mit den Worten: "Diese Aufgabe brachte uns eine große Überraschung: Wir hielten sie nämlich für sehr leicht und bekamen von den verschiedensten Seiten Zuschriften, die Druckfehler oder gar Unlösbarkeit vemuteten!"

Ich selber habe die Aufgabe schon oft beim Mattbildertraining präsentiert und dabei auch die Erfahrung gemacht, dass meine "Schüler" ohne großzügige Hilfestellungen nicht auf die richtige Idee kommen wollten. Dieser Stelle wäre vielleicht geeignet, den Lesefluss für einen Moment zu unterbrechen, und selbst die Lösung der Aufgabe zu versuchen.

Bevor wir zur Lösung kommen, möchte ich noch ein zweite Aufgabe präsentieren. Während der Corona-Shutdowns fielen ja alle Schachwettkämpfe aus und wir Schachspieler hatten viel Zeit, um auf komische Gedanken zu kommen. Beim müßigen Betrachten der Aufgabe von Pittlers kam mit auf einmal die folgende Idee. Möglicherweise bin ich nicht der erste, der auf diese Stellung gekommen ist, aber in der Problemdatenbank der "Schwalbe", der deutschen Vereinigung für Problemschach, findet sich kein vergleichbares Stück. Wem das obige Springer-Problem Schwierigkeiten macht, dem hilft vielleicht dieses Läufer-Problem auf die Sprünge.

Der Läufer
Original ?
Hilfsmatt in 2 Zügen

Zu den Lösungen ...

Wolfgang von Pittler

Lösungen

Man beachte die Parallelität der beiden Aufgaben:

  1. In der Ausgangsstellung befinden sich nur die Könige, Bauern und Figuren eines Typs auf dem Brett.
  2. Der Lösungsweg beginnt, dass Schwarz seine Figur auf der Grundreihe zum Opfer anbietet.
  3. Weiß nimmt das Opfer an und wandelt dabei in den gleichen Figurentyp um.
  4. Schwarz stellt seinen König auf Matt und
  5. Weiß setzt mit seiner umgewandelten Figur matt.
Naheliegenderweise stellte ich mir die Frage, ob sich dieses Schema auch mit anderen Figuren realisieren lässt. Tatsächlich ist es mit Turm oder Dame ganz einfach und lässt sich sogar mir nur vier Steinen darstellen. Man überzeuge sich bitte selbst davon, dass die unter dem Diagramm angegebene Zugfolge jeweils die einzige ist, die nach zwei Zügen zum Matt führt.

Der Turm
1.Th2-h8 g7xh8=T 2.Ka2-a1 Th8-a8#

Die Dame
1.Dh2-h8 g7xh8=D 2.Kb3-a2 Dh8-b2#

Wolfgang von Pittler war offen für neue Ideen, insbesondere brachte er in seiner Schachspalte auch Probleme aus dem Bereich des "Märchenschach". Im Märchenschach werden die Regeln des normalen Schachspiels modifziert, z.B. indem Figuren mit alternativen Gangarten verwendet werden. Hier gibt es natürlich eine fast unbegrenzte Anzahl von Möglichkeiten, Wolfgang von Pittler beschränkte sich in der „Schach-Ecke“ darauf, den Aachener Zeitungslesern den Nachtreiter und den Grashopper vorzustellen.

Der Nachtreiter zieht oder schlägt beliebig weit in Richtung einer Springerlinie. Um von-Pittlers Springer-Problem ein echtes Nachtreiterproblem umzuwandeln, sollten wir die gesamte Ausdehnung des Bretts ausnützen, zum Beispiel wie folgt. Man beachte dabei, dass nach Märchenkonventionen die Bauernumwandlung entweder in eine normale Schachfigure (Dame, Turm, Springer, Läufer) oder jeden anderen Figurentyp möglich ist, der in der Ausgangsstellung auf dem Brett steht.

Der Nachtreiter
1.Na2-d8 e7xd8=N 2.Kg2-h3 Nd8-f4#

Die zweite Figur, die von Pittler seinen Lesern vorstellte, war der Grashopper. Der Grashopper ist seit seiner Erfindung durch Thomas R. Dawson, dem Begründer des modernen Märchenschachs, bei den Problemkomponisten eine sehr beliebte Figur, da er völlig neue Aspekte ins Spiel einbringt. Der Grashopper hüpft auf einer Turm- oder Läuferbahn über einen beliebigen Stein als "Sprungbock" auf das in derselben Richtung unmittelbar dahinterliegende Feld, das frei oder von einem gegnerischen Stein besetzt sein muss, diesen im letzteren Falle schlagend. Der Sprungbock bleibt in jedem Falle erhalten, auch darf er nicht fehlen. Zwischen dem Ausgangsfeld und dem Sprungbock dürfen keine weiteren Steine stehen.

Ein korrektes Problem mit den Bedingungen (1) bis (5) zu komponieren erwies sich jedenfalls als nicht ganz so einfach. Letztenendes bin ich bei folgender Stellung gelandet.

Der Grashopper
1.Ge5-h8 g7xh8=G 2.Gh2-c7 Kd8xc7#

Während Corona-Zeiten habe ich mir mal die Zeit damit vertrieben, für noch etwa 20 weitere Märchenschachfiguren ähnliche Probleme zu komponieren. Die meisten davon sind nicht besonders interessant, aber eines möchte ich zeigen, weil es Wolfgang von Pittler vermutlich besonders gefallen hätte. Der Springer im Diagramm soll ein (4,2)-Springer sein, also ein Figur, die wie ein Springer zieht aber doppelt so weit. ("4 geradeaus, zwei zur Seite".) Für diese Figur scheint sich in der deutschen Literatur kein deutscher Name etabliert zu haben, manchmal wir sie mit dem englischen "Lancer" bezeichnet. In manchen Märchenschachlexika wird auch Bezeichnung "Hase" angeboten, was aber unglücklich ist, da es noch eine andere Märchenschachfigur gibt, die so genannt wird. Die Stellung hat "Zugwechselcharakter". Mit Weiß am Zuge führt nämlich 1...Ka4-a5 2.d7-d6 Lcc1-g3# zum Matt, aber Schwarz hat keinen Wartezug, mit dem er dieses Mattbild aufrecht erhalten könnte. Zur Lösung in vier Halbzügen führt nur die angegebene Zugfolge. Zugwechselprobleme waren aber WvPs spezielles Steckenpferd, und deswegen wollen wir diesen Beitrag damit beenden.

Der Lancer = 4,2-Springer
1.Lcd4-f8 g7xf8=Lc 2.d7-d6 Lcc1-g3#