Schach im Aachener Café Littéraire 1845-1849

Über die Aachener Schachspieler vor der Gründung des Schachverein 1856 wissen wir nicht viel. Einen kleinen Einblick in die Aachener Schachszene der 1840er-Jahre gewähren uns aber zwei Reiseberichte, die in „Le Palamède“ und der „Schachzeitung“ erschienen.

1 Einleitung

Über die Aachener Schachspieler aus der Zeit vor der Vereinsgründung wissen wir naturgemäß nur wenig: über „Kaffeehauspartien“ wird in der Regel nicht Buch geführt, und ohne Textquellen steht der Chronist mit leeren Händen da. Es ist aber offensichtlich, dass die Schachspieler in Aachen da waren, denn schon kurz nach der Gründung brachte es der Verein auf über 50 Mitglieder. Diese dürften meist der Oberschicht angehört haben und sich in ihren Clubs, also z.B. in der Casino- oder Erholungsgesellschaft zum Spiel getroffen haben. Aber, wie in den 1920-Jahren ein Chronist formulierte: „infolge der Abgeschlossenheit der höheren Stände [...] konnte ein Zusammenschließen in Vereinsform nicht ermöglicht werden.“1

Daneben gab es in Aachen aber auch einige Schachspieler, die sich an einem öffentlichem Treffpunkt trafen, nämlich dem Café Littéraire. Dieses lag ungefähr dem Alten Kurhaus gegenüber in der Komphausbadstraße. Davon berichten übereinstimmend zwei Reiseberichte, die 1845 in der französischen Schachzeitschrift „Le Palamède“ und 1849 in der Berliner „Schachzeitung“ erschienen.

2 Der Bericht der Palamede

Der Bericht aus der „Le Palamède“ 2 ist Teil eines Artikels „Les Échecs en Belgique“. Der Artikel ist nicht namentlich gekennzeichnet. Es ist möglich, dass der Herausgeber der Zeitung, Pierre Saint Amant, selbst auf Reisen gegangen war.

„A quelques heures de Liége est Aix-la-Chapelle qui commence la Prusse, quoique tout y respire encore la nationalité française. C’est aussi au Café Littéraire, presque en face de la Redoute, où le Trente et Quarante tient journellement ses séances, que les paisibles amateurs d’Échecs se réunissent: à la demi-douzaine ils sont au grand complet. Leur règle est bien calquée sur celles de France et d’Angleterre; cependant ils y ont ajouté quelques prescriptions qui sentent le terroir: ainsi, le premier joueur doit toujours commencer par les Pions du Roi et de la Dame deux pas, et le second joueur est contraint à l’imitation. C’est une façon d’escamoter bien des ouvertures embarrassantes; mais en revanche, variant peu, ils doivent être étonnamment forts sur ce grand cheval de bataille. Espérons cependant que lorsqu’ils auront perfectionné ce début de façon à en connaître tous les arcanes, ils passeront à un numéro deux. Ils n’admettent pas non plus le Roi dépouillé, et quand le cas se présente la partie est déclarée nulle. – Nous ne pouvons qu’engager ces honnêtes amateurs à revenir tout bonnement à notre règle, qui est beaucoup plus libérale. Il est des membres de la réunion, très studieux, comme M. Wasseige, qui, resserrés dans ce cercle rétréci, ne peuvent pas développer en pratique ce qu’ils ont si bien appris dans la théorie écrite. A eux donc à pousser à une réforme toute dans l’intérêt de leurs études.“

Versuch einer Übersetzung:

Ein paar Stunden von Lüttich entfernt liegt Aix-la-Chapelle, womit Preußen beginnt, obwohl alles noch die französische Lebensart atmet. Es ist auch im Café Littéraire, fast gegenüber der Redoute, wo die Dreißig oder Vierzig täglich ihre Treffen abhalten, dass die friedlichen Schachliebhaber zusammenkommen: etwa ein halbes Dutzend sind es insgesamt. Ihre Regel ist nah an die von Frankreich oder England angelehnt; sie fügten jedoch einige Vorschriften hinzu, die nach Angst riechen: z.B. muss der erste Spieler immer mit dem Doppelschritt des Königs- oder Damenbauern beginnen, und der zweite Spieler ist gezwungen, dies zu imitieren. Auf diese Art lassen sich peinliche Eröffnungen sicher vermeiden; andererseits, arm an Variation, müssen sie erstaunlich stark sein auf diesem großen Schlachtroß. Hoffentlich werden sie jedoch, wenn sie diese Eröffnung perfektioniert und alle ihre Geheimnisse kennengelernt haben, den zweiten Schritt machen. Sie lassen auch den blanken König nicht zu, und wenn der Fall auftritt, wird das Spiel für remis erklärt. Wir können diese ehrlichen Amateure nur dazu drängen, ganz einfach zu unserer Regel zurückzukehren, die viel liberaler ist. Es gibt sehr gelehrte Mitglieder in dieser Vereinigung, wie Herr Wasseige, die, beschränkt auf diesen zurückgezogenen Kreis, in der Praxis nicht entwickeln können, was sie in der schriftlichen Theorie so gut gelernt haben. Es liegt also an ihnen, ganz im Interesse ihrer Studien, auf eine Reform zu drängen.

Der Bericht spricht also vor allem das Problem an, das die Schachregeln mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht international kanonisiert waren. Die Regel, dass eine Partie als Remis beendet wurde, wenn eine Seite nur noch den König hatte, hat praktisch die Auswirkung, dass sich die Remisbreite ungemein vergrößert. Sie wurde ansonsten wohl vor allem in Holland und in Norddeutschland praktiziert. Vielleicht hat man sich den Ratschlag des Korrespondenten der Palamède zu Herzen genommen, denn der nächste Besucher erwähnte solche Absonderlichkeiten in seinem Bericht nicht.

3 Der Bericht des Ferdinand von der Goltz

Freiherr Alexander Ferdinand von der Goltz war Mitglied der Berliner Schachgesellschaft und ein eifriger Korrespondent der Schachzeitung, die viele seiner Partien und Berichte abgedruckte. Er diente als Offizier in der preußischen Armee und stand nach Angaben von der Lasas3 in Aachen mit dem Oberstlieutenant v. Hannecken in demselben Regiment. Das müsste dann im Jahr 1855 gewesen sein. Der folgende Bericht erschien aber schon einige Jahr früher, nämlich im Juli 1849.4 Dort schrieb von der Goltz in einem Artikel über das „Schachleben am Rheine“ unter anderem das folgende:

„Den meisten Eifer für das Schachspiel habe ich aber in Aachen gefunden, wo in dem Café litteraire, (der Redoute, dem ehemaligen Tummelplatz der Hasardspieler, gegenüber) beinahe täglich mehrere Schachspieler anzutreffen sind. Von allen nenne ich hier den Herausgeber des auch in unserer Zeitung (Jahrgang II. [1847] S.329) erwähnten kleinen Werkchens: „Matts aus dem Schachspiele“, den Herrn v. Oliva, Doctor der Rechte, einen jetzt schon ziemlich bejahrten Mann, welcher den schon aus früheren Jahren herstammenden Ruhm des ersten Schachspielers in Aachen behauptet. Wohl bewandert in den Anfängen, namentlich der Springerspiele, (von denen er das schottische Gambit sehr gern und hübsch spielt) wenngleich nicht so stark in den Königs-Gambiten, ist der freundliche Herr ein tüchtiger Kämpe, der noch viel größeren Erfolg haben würde, wenn er nicht selbst sich häufig und zwar mit Recht den Vorwurf machte, dass er noch zu heissblütig und zu schnell mit dem Zuge bei der Hand sei. Von acht Spielen, die ich das Vergnügen hatte mit ihm zu machen, hat er eines gewonnen, während zwei remis wurden. Sein gewöhnlicher Gegner ist ein Belgier, ein Herr V…e, dem er wegen der Kenntniss der Theorie, die dem Letztern abgeht, bedeutend überlegen ist. Auch mit diesem Herrn, so wie mit einem Irländer, der höchst lebendigen Temperaments ein ungemein amüsantes Spiel vollführt, da seine Hände fortwährend zur nöthigen Zurücknahme der Züge auf dem Brette beschäftigt sind, habe ich manche Partie gespielt, namentlich mit dem Letztern alle Chancen der Vorgaben, mit Ausnahme der von einem Bauern, durchprobirt, und nur eine Partie verloren. Noch einige andere Herren zeigten viel Theilnahme am Schach, aber den bei Weitem kräftigsten Gegner fand ich in einem höchst liebenswürdigen Engländer, einem Mr. Gordon5 mit dem ich zuletzt denn auch beinahe ausschliesslich spielte. Er ist mit den meisten der englischen Schachcelebritäten bekannt, und hat auch gegen Labourdonnais, der ihm einen Thurm vorgab, siegreich gekämpft [und ist] auch Präsident, wenn ich nicht irre, des Oxford Clubs eine Zeit lang gewesen“.6

Im weiteren Verlauf seines Berichts erwähnt von der Goltz, dass Gordon einige Partien wie folgt eröffnete: 1.e4 e5 2.Lc4 Sf6 3.Sf3 Sxe4 4.De2 d5 5.Lb3, worauf er immer mit 5...Lc5 geantwortet habe, obwohl 5...Sc6, wie ihm scheine, entscheidend sei, wobei er auf die Variante 6.d3 Sc5 7.Sxe5 Sd4 8.De3 Sxb3 verweist. Von der Goltzens Brief endet mit:

„Aus einer der Partieen mit Herrn Gordon, muss ich Ihnen doch ein freilich sehr leichtes Endspiel mittheilen, die Position ist folgende:

Hier kündigte ich (Weiss) ein Matt in 4 Zügen an.“

Tatsächlich ist dieses Matt auf zwei verschiedene Weisen möglich und wie von der Goltz überlassen wir es unseren Lesern, diese beiden Varianten zu finden. An und für sich sind weder die Eröffnung, noch das Stellungsbild besonders bedeutsam, aber es handelt sich dabei um die ersten Züge aus richtigen Partien, die uns aus Aachen überliefert sind, weswegen wir sie hier nicht weglassen konnten.

4 Schlussbemerkung

Das Buch, das der Herr v. Oliva verfaßt hat, haben wir uns genau angesehen: P. von Oliva: Matts aus dem Schachspiele [pdf]. Interessanterweise enthält es Spuren vom Besuch des Korrespondenten der Palamède. Außerdem lässt die Tatsache, das jemand ein Übungsbuch für Schachanfänger verfasst, darauf schließen, dass es auch Schüler gab, denen der Autor sein Werk eventuell an die Hand geben wollte. Und dies wäre wieder ein Hinweis darauf, dass die Schachszene in Aachen vor der Vereinsgründung viel aktiver und vielfältiger war, als wir heute noch nachvollziehen können.

Anmerkungen

  1. „O.B.“ (Otto Brech), „70 Jahre Aachener Schachverein“, Aachener Anzeiger, 2.10.1926.
  2. Deuxième Série, Tome Cinquième. S.379-380
  3. Schachzeitung, Jg.14(1859), S.285
  4. Schachzeitung, Jg.4(1849), S.225-230
  5. Dieser Mr. Gordon scheint noch länger in Aachen geblieben zu sein, jedenfalls steht im Turnierbuch zu London 1851 in der Liste der Spender, die dazu beitrugen, das Turnier zu finanzieren, ein „R.G. Gordon, Esq., Aix-la-Chapelle, 1£ 1s, 0d.“
  6. In „The Chess Player’s Chronicle“, Vol. 9 (1849), S. 161, findet sich zu diesem Club folgende Bemerkung: „Some years ago, a Club used to hold its meetings at St. John’s College, but all knowledge of its proceedings is now traditionary: a long time has elapsed since it was either dissolved, or ceased to be at all active.“