Hermann von Hanneken

In diesem Artikel wollen wir dem Leser den Gründer und ersten Vorsitzenden des Aachener Schachvereins vorstellen. Hermann von Hanneken war preußischer Offizier und hat nur wenige Jahre in der Kaiserstadt gelebt. Das Schachspielen lernt er in der Berliner Schachgesellschaft, wo er Gelegenheit bekommt, sich mit Spielern wie Bledow, Hanstein und von der Lasa zu treffen. Danach führt ihn seine militärische Karriere quer durch das Rheinland, wo er mit seiner offenbar ansteckenden Schachbegeisterung vielfältig Spuren hinterlässt. Zusammengestellt von Philipp Lamby, 8.11.2019.

Karl August Bernhard Hermann von Hanneken 1 wird am 2.2.1810 in Vicheln (Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin) in eine Offiziersfamilie geboren. Sein Vater Hans Ludwig kämpft 1813 in den Befreiungskriegen und macht danach Karriere in der preußischen Armee. 1844 wird er als Generalmajor aus dem Dienst scheiden. Hermanns älterer Bruder Hans-Georg (*1805) wird ebenfalls Soldat und es bis zum Oberst und Kommandeur des 6. Kürassier-Regiments bringen.

Derart erblich vorbelastet beginnt Hermann seine militärische Laufbahn2 schon im Alter von zehn Jahren: seine Schulzeit verbringt er ab 1820 als Kadett in Potsdam und ab 1824 im Berliner Kadettenkorps. 1827 wird er als Sekondeleutnant in das 2. Garderegiment zu Fuß aggregiert und zwei Jahre darauf in ein Infanterieregiment versetzt.3 Für die Jahre 1833 bis 1835 wird er zur allgemeinen Kriegsschule in Berlin kommandiert. Danach wird er 1836 ins 13. Infanterieregiment (das 1. Westfälische) versetzt, wo er 1840 zum Premierleutnant aufsteigt. In den Jahren 1842 bis 1845 wird er zum Topographischen Büro kommandiert, wobei er seit 1843 bei der Vermessungsabteilung des Großen Generalstabes dient.

Aus dieser Zeit stammt auch unsere erste Nachricht über von Hanneken als Schachspieler. In einem Brief an von der Lasa vom 15. Januar 1844 schreibt Ludwig Bledow, der Gründer der Berliner Schachgesellschaft: Herr von Hannecken ist wieder hier und spielt sehr fleissig. [...] Ich spiele mit Allen um sie zu animiren, gebe Crelinger einen Thurm, Wolff, Hannecken, Kossak aber nur einen Springer vor. 4

Anfang 1845 ist von Hanneken bei einem Besuch des Präsidenten des Schachklubs zu Liverpool, Auguste Mongrédien, der erste Berliner, der eine Partie gegen den Gast gewinnen kann. Insgesamt verliert er das spontane kleine Match aber mit +1=2-3. 5

1845 vermählt sich Hermann mit Anna Waldburga Kunigunde von Hanneken. Aus der Ehe werden zehn Kinder hervorgehen. Anna ist auch eine passable Schachspielerin. Eine Partie des Ehepaars gegeneinander erscheint mit launischen Kommentaren 1847 in der Schachzeitung. 6

1846 wird von Hanneken zum Hauptmann im Generalstab ernannt.

In der Berliner Schachgesellschaft gehört er weiterhin zu den aktivsten Spielern. 1848 verliert er einen Vorgabewettkampf gegen Wilhelm Hanstein, den Redakteur der Schachzeitung. Im einzelnen enden die Partien +2-1 bei Vorgabe von Bauer und zwei Zügen, +1-2 bei Vorgabe von Bauer und Zug und -3 gleichauf. 7 Das Ergebnis zeigt, dass er mit den stärksten Spielern seiner Zeit nicht ganz mithalten kann, aber er macht sich einen Namen mit seinen nicht unerheblichen Fertigkeiten als Blindspieler. 8

Im März 1848 verlässt von Hanneken Berlin Richtung Koblenz und wird seitdem als außerordentliches Mitglied der Berliner Schachgesellschaft geführt. 9

In der Garnison Koblenz zieht die preußische Armee bedeutende Kontingente für die Niederschlagung des demokratischen Pfälzisch-Badischen Aufstands zusammen. Ende 1848/Anfang 1849 ziehen diese Truppenverbände in die Pfalz und nach Baden und Württemberg und beenden die Revolte blutig und endgültig. Hermanns Schwiegervater, Generalmajor Woldemar von Hanneken, spielt dabei eine bedeutende Rolle als Leiter der I. Preußischen Division, die mit dem Sieg in der Schlacht bei Waghäusl das Schicksal der Aufständigen einläutet. 10

1850 wird Hermann von Hanneken Kompaniechef im 29. Infanterieregiment, welches in Bingen Quartier hat. Dort pflegt er, sich am Sonntage mit Ferdinand von der Golz, der in seinem Regiment dient, und Tassilo von der Lasa, welcher in Fankfurt beschäftigt ist, zu treffen.11 Aus jener Zeit stammt sein Artikel über die Cozio-Verteidigung des Königsgambits (1.e4 e5 2.f4 exf4 3.Lc4 Sf6), welcher im November 1850 in der Schachzeitung erscheint. 12

1852 wird von Hanneken zum Major befördert und 1855 erhält er schließlich die Stellung als Kommandeur des 1. Bataillons des 25. Landwehrregiments in Aachen. Dort begeistert er die Mitglieder der Erholungsgesellschaft mit seinen Blindsimultanvorstellungen und regt die Gründung eines Schachklubs an. Diese Idee wird im Herbst 1856 realisiert: der Aachener Schachverein wird aus der Taufe gehoben und von Hanneken zum ersten Vorsitzenden gewählt.

Allerdings wird er schon 1857 nach Wesel zum 17. Infanterieregiment versetzt, wo er 1858 zum Oberstleutnant befördert wird. In Wesel trifft er auf zwei weitere starke Schachspieler: Hauptmann Bothe I. und Leutnant Freiherr von Eynatten. Die drei tragen gegen den Schachklub Krefeld eine Korrespondenzpartie aus, in der sie siegreich bleiben.13

Am 14. November 1859 verlangt der Krefelder Klub eine Revanche-Partie. Da Hauptmann Bothe inzwischen nach Stettin versetzt worden war, übernimmt von Hanneken die Partieführung, wobei er zumindest ab dem 10. Zug wieder von Leutnant von Eynatten unterstützt wird. Die Schachzeitung empfiehlt diese Partie zurecht als wichtig für die Theorie des Zweispringerspiels zum besonderen Studium.14

Nachdem er 1859 schon das Kommando über das Weseler Landwehrregiment erhalten hat, wird er nach dem Gewinn der vorstehenden Partie zum Oberst befördert.

Am 22.9.1861 treffen sich rund drei Dutzend Schachfreunde, darunter auch von Hanneken, im Hofgarten von Düsseldorf, wohin Alfred Schlieper (Elberfeld) per Annonce in dem von Dr. Max Lange herausgegebenen Sonntagsblatt für Schachfreunde eingeladen hatte. Man beschließt, sich alljährlich am ersten Sonntag im September zu einem Schachkongress für Spieler aus Rheinland und Westfalen zu treffen. Damit ist die erste überregionale Organisation der Schachgeschichte gegründet. Das Treffen geht als der 1. Kongress des Westdeutschen Schachbundes in die Historie ein.

Der Beschluss wird umgesetzt und im September 1862 findet der 2. Kongress des Westdeutschen Schachbundes in Düsseldorf statt. Auch Oberst von Hanneken ist wieder unter den Teilnehmern und spielt im Hauptturnier mit, das aber unvollendet bleibt, weil einige der Teilnehmer ihren Bedenkzeitverbrauch nicht an den begrenzten zeitlichen Rahmen des Turniers anpassen können, siehe Tabelle 1. Max Lange liegt aber zur Zeit des Abbruchs klar in Führung und wird zum Sieger erklärt.

     1   2   3   4   5   6   7   8  Punkte
1 Dr. Max Lange (Leipzig) 1   1 1 1   1 5,0/5
2 Otto Wuelfing (Düsseldorf) 0 0 0 1   1 1 3,0/6
3 Wilfried Paulsen (Nassengrund)   1 1       2,0/2
4 Hermann von Hanneken (Wesel) 0 1   0 1/2   1/2 2,0/5
5 Georg Schultz (Hannover) 0 0 0 1 1     2,0/5
6 Richard Lichtenscheid (Krefeld) 0     1/2 0 0 1 1,5/5
7 F.A. Hipp (Krefeld)   0       1   1,0/2
8 Johannes Kohtz (Köln) 0 0   1/2   0 0,5/4
Tabelle 1: Die Tabelle des unvollendeten Hauptturniers vom 2. Kongress des Westdeutschen Schachbunds in Düsseldorf 1862. Ursprünglich war vereinbart worden, dass jeder Teilnehmer mit jedem anderen eine entschiedene Partie austragen solle.


Dr. Lange verfasst ein Turnierbuch über den Kongress, in dem er auch die fünf Partien von Hannekens aus dem Hauptturnier und einige seiner freien Partien bringt.15 Diese findet man heute auch in den gängigen Datenbanken.16. Die folgende Partie hat Dr. Lange nicht in seinem Jahrbuch veröffentlicht. Sie erscheint aber im November 1862 in der Deutschen Schachzeitung.

Die Illustrierte Zeitung bringt einen Bericht über den Kongress mit einer stimmungsvollen Zeichnung, in der auch von Hanneken zu sehen ist, siehe Abbildung 1.

Abbildung 1: Louis Paulsen (rechts im Bild) im Blindlingsspiel. Holzstich aus Illustrirte Zeitung Nr. 1007 vom 18. Oktober 1862, S. 289. Nach einer Zeichnung von Gustav Süs. 17 Der großgewachsene Oberst Karl August Bernhard Hermann von Hanneken ragt links aus dem Publikum heraus. An seiner Seite vermuten wir seine schachkundige Ehefrau. Dr. Max Lange protokolliert die Züge für das Jahrbuch.


Nach dem Düsseldorfer Kongress hören wir für einige Jahre nichts Schachliches mehr über von Hanneken. Preußen führt Krieg. 1864 wird von Hanneken zum Kommandeur der 8. Infanteriebrigade und zum Generalmajor ernannt. Als solcher macht er den Deutschen Krieg von 1866 gegen Österreich in Böhmen mit. Er wird dann als Generalleutenant bis 1867 der letzte Kommandant der Bundesfestung Luxemburg. Dann vertauscht er diese Stellung mit der gleichen zu Mainz. Im Vorfeld des 8. Kongress des Westdeutschen Schachbundes 1869 in Barmen meldet er sich für das Hauptturnier an, wird aber durch eine befohlene Vorstellung bei seiner Majestät am Erscheinen verhindert.18 Nach Beendigung des Krieges gegen Frankreich scheidet er aus dem Dienst und nimmt seinen Wohnsitz in Wiesbaden. Ohne Nennung seines Namens veröffentlichte er mehrere Bücher: Der Krieg um Metz (Berlin 1870), Gedanken und Betrachtungen über den Krieg von 1870/71 (Mainz 1871), und Die allgemeine Wehrpflicht (Gotha 1873). 19 Außerdem liefert er Beiträge zu militärischen Zeitschriften.

Bereits im beruflichen Ruhestand übernimmt Excellenz von Hanneken im August 1871 die Aufgabe, als Präsident des Komitees bei der Organisation eines Schachkongress in Wiesbaden mitzuwirken. 20 Es kommt ein kleines Meisterturnier zustande, in dem er selber mitkämpft, wenn auch ohne großen Erfolg, siehe Tabelle 2.

    1 2 3 4 5 Pkt.
1 Dr. Theodor Göring (Leipzig) 1 1 1 1 4,0
2 Adolf Stern (Ludwigshafen) 0 1 1 1 3,0
3 Johannes Minckwitz (Leipzig) 0 0 1 1 2,0
4 Hermann von Hanneken (Wiesbaden) 0 0 0 1 1,0
5 Anonymus (London) 21 0 0 0 0 0,0
Tabelle 2: Ergebnis des Meisterturniers Wiesbaden 1871


Dafür gelingt es ihm, in zwei freien Partien, die in der Schachzeitung abgedruckt werden, die Meister Johannes Minckwitz und Adolf Stern zu besiegen. Die Partie gegen ersteren ist ein sehr interessanter Kampf von Läuferpaar gegen Springerpaar, aber leider bricht die Notation an der entscheidenden Stelle ab. In der anderen überrumpelt der alte Haudegen den Jungmeister, der 1870 zu dem berühmten Meisterturnier in Baden-Baden 1870 eingeladen worden war, aber nach der 4. Runde wegen des Ausbruchs des deutsch-französischen Krieges zu den Fahnen gerufen worden war, im typischen von-Hanneken-Stil. 22

Mit dem Turnier in Wiesbaden scheint auch Hannekens Schachkarriere ein Ende genommen zu haben. Aus den Folgejahren liegen uns jedenfalls keine Nachrichten mehr von ihm vor.

Hermann von Hanneken stirbt am 6. September 1886, vier Jahre nach dem Tod seiner Frau, in Bad Neuenahr. Die Variante im Schottischen Gambit 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.d4 exd4 4.Lc4 Lb4+ 5.c3 dxc3 6.O-O cxb2 7.Lxb2 Sf6 8.Sg5 O-O 9.e5 Sxe5!? trägt nach ihm den Namen Hanneken-Gambit. 23 Sie verkörpert hervorragend seinen schachlichen Stil, dürfte allerdings nur noch historisches Interesse beanspruchen. Nach unseren modernen Maßstäben war von Hanneken kein sehr starker Meister, sondern eher ein Kaffeehausspieler.24 Aber als Schachpionier im Rheinland und als Gründer des Aachener Schachvereins hat er ein Stück Schachgeschichte mitgeprägt.

Anmerkungen

  1. Der Name wird häufig auch Hannecken geschrieben. Wir korrigieren im folgenden die Schreibweise nicht, wenn wir ein direktes Zitat wiedergeben.
  2. Die folgenden Angaben über Hannekens militärische Laufbahn stammen aus folgenden beiden Quellen: (1) Poten, Bernhard von, Hanneken, Hermann von in: Allgemeine Deutsche Biographie 49 (1904), S. 762 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd120867532.html#adbcontent. (2) Wikipedia, welche selbst wohl die Angaben aus Priesdorf, Kurt von, Soldatisches Führertum, Band 7, Hanseatische Verlagsanstalt Hamburg (1939) wiedergibt. Siehe URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_von_Hanneken_(Generalleutnant).
  3. Die Angaben unterscheiden sich hier. Poten nennt das 35., Wikipedia das 31. Infanterieregiment.
  4. Schachzeitung, 3. Jg. (1848), S.309
  5. Schachzeitung, 2. Jg. (1847), S.54
  6. Schachzeitung, 2. Jg. (1847), S. 333-334
  7. Schachzeitung, 3. Jg. (1848), S. 180
  8. Schachzeitung, 3. Jg. (1848), S. 252, S. 423
  9. Schachzeitung, 4. Jg. (1849), S. 2, S. 7
  10. Bei so vielen Offzieren namens von Hanneken kann man schon mal den Überblick verlieren. Das passiert auch der Wikipedia, die aktuell (November 2019, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Gefecht_bei_Wagh%C3%A4usel) fälschlich unseren Hermann als Divisionsführer aufführt.
  11. Schachzeitung, 14. Jg. (1859), S. 285
  12. Schachzeitung, 5. Jg (1850), S. 401-408. Siehe dazu auch die kleine Diskussion über Namensrechte  die von der Lasa in der Schachzeitung, 17. Jg. (1862), S.139f, anstößt.
  13. Schachzeitung, 14. Jg. (1859), S.194f. Dafür, dass das militärische Triumvirat in Wesel auch einen Verein gegründet hat, wie verschiedene Chronisten behaupten, konnten wir keinen Nachweis finden.
  14. 15. Jg. (1860), S.142f,145f
  15. Max Lange: Jahrbuch des Westdeutschen Schachbundes, Leipzig 1862. Siehe auch Schachzeitung, 17. Jg. (1862), S. 296-304.
  16. Zum Beispiel in der Chessbase Mega.
  17. Dazu sehe man auch die Webseite von Elke Rehder: Der Rheinische Schachkongress in Düsseldorf 1862.
  18. Neue Berliner Schachzeitung, 6. Jg. (1869), S.289
  19. Diese Bücher sind bei books.google.com frei verfügbar.
  20. Schachzeitung, 26. Jg. (1871), S.259-263 und S.267-273
  21. Über den Anonymus, der hier in der Tabelle auftaucht, schreibt die Schachzeitung nur: „ein Schachfreund aus London, ein recht guter Spieler, der nicht genannt sein will, übrigens krankheitshalber bald zurücktreten musste.“ DiFelice, Chess Results 1747-1900, identifiziert ihn als John de Soyres.
  22. Siehe Stefan Haas: Das Schachturnier zu Baden-Baden 1870. Der Unbekannte Schachmeister Adolf Stern. Rattmann, 2006.
  23. Siehe B. Suhle, G.R. Neumann: Die neueste Theorie und Praxis des Schachspiels, Berlin 1865, S.145
  24. Rob Edwards (www.edochess.ca) hat für ihn historische Edo-Zahlen zwischen 2140 und 2070 berechnet.